Als Kirk Herbstreit am Samstag Abend das CFB-Spiel Ohio State – Utah moderierte, war er wohl nicht ganz ausgeschlafen. So ein Job als ESPN-Moderator kann schon ganz schön anspruchsvoll sein. Angeblich kam Herbstreit in der Vornacht per Flieger und schlief keine Minute. Klar, so ein Bowl-Game erfordert viel Vorbereitung, Interviews müssen gemacht, Zeitpläne eingehalten und paper-work erledigt werden. Schon anstrengend. Gebe ich zu. Dass Herbstreit, seines Zeichens bereits seit 1996 bei ESPN unter Vertrag, mit dem Sprechen über Football viel Geld macht, kompensiert zumindest den Aufwand und die zeitliche Belastung ein wenig. Immerhin dürfte Herbstreit satte zwei Millionen $ jährlich als Gehalt vom Fernsehsender bekommen.

Sein Arbeitgeber, der im letzten Jahr trotz sinkenden Aktienkursen noch immer an einem vier Milliarden Umsatz-Paket beteiligt war, investiert pro Jahr im neunstelligen Bereich in College Football. Klar, dass die Bowl-Saison enorm wichtig für den TV-Sender ist. Ende Dezember wurden dieses Jahr immerhin 44 Bowl-Games gezeigt, die „Final“- bzw. Abschlusspartien der College-Teams. Von ca. 120 Universitäten im Spielbetrieb, verteilt auf mehrere Divisionen und Ligen, nahmen damit satte 88 an diesen Spielen Teil. Und ESPN hält einen Großteil der Übertragungsrechte.

Da gibt es dann neben den in diesem Jahr eingeführten CFB-Playoffs mit dem zugehörigen CFB-Championship auch allerlei kuriose Bowls. So bspw. Den Cheez-It-Bowl, bei dem der Trainer der Gewinners mit einem Fass Schmelzkäse übergossen wird. Klar, wir haben bei den Bowl-Games auch Klassiker dabei, wie zum Beispiel den alljährlichen Rose Bowl oder den Sugar Bowl. Diese Formate gibt es seit Jahrzehnten und sie genießen teils einen ähnlichen Zuspruch wie der Super Bowl in der NFL. Zumindest beim verrückten Publikum, das den College-Football liebt. Dennoch: nicht bei jedem Bowl-Game „gibt es was zu gewinnen“. Der Guaranteed Rate Bowl? Seit Jahren gesponsert von einer Hypothekenfirma? Oder der Pinstripe-Bowl? Der Bowl des Cap-Herstellers New Era?

Streng genommen geht es bei den dort antretenden Teams häufig um die Goldene Ananas, nicht jeder dieser Titel verspricht sportlichen Ruhm und Erfolg. Und für die meisten Spieler ist es nach diesem Spiel Schluss mit der Karriere als Footballer, da nur ein sehr geringer Prozentsatz (zuletzt ca. 1,2%) aller College-Athleten den Sprung in die NFL schafft. Zugegeben, für die wenigen Glücklichen kann ein gutes Bowl-Game aber sogar den Unterschied machen, ob sie nun in der sechsten oder fünften Runde des Drafts geholt werden. Was in Salär ausgedrückt immerhin einige 10.000$ Unterschied machen kann. Oder ob sie es überhaupt in die NFL oder eine Liga, die sie bezahlt schaffen. Das oberste Ziel: get paid! Einen Gehaltsscheck überhaupt zu haben. Denn die meisten der Spieler verdienen am College rein gar nichts. Im Gegensatz zu denen, die Profit machen mit den Körpern der Athleten.

Erst seit diesem Jahr können Spieler aufgrund der sog. NIL-Regel über Werbeverträge, Social Media Gewinne etc. überhaupt erst (teils) selbst entscheiden und Geld verdienen. Dennoch muss ganz klar festgestellt werden: das Gros der Spieler verdient bei diesem riesigen Event keinen müden Cent!

Daher kommt es immer wieder zu sogenannten Opt-Outs. College-Stars, die als sichere Nummern für die NFL gelten, entscheiden sich häufig bewusst dafür, auf einen Auftritt in einem Bowl-Game zu verzichten. Dies ist häufig dadurch zu begründen, dass eine eventuelle Verletzung massiv ihre NFL-Karriere gefährden könnte. In diesen letzten Monaten vor dem Draft sollte nichts mehr schief gehen, jede Eventualität kann ihre Chance auf die lang ersehnte Bezahlung zerstören. Dieses Jahr entschieden sich mehrere angehende NFL-Spieler für einen Opt-Out. Darunter bspw. Garrett Wilson von Ohio State oder Quarterback Kenny Pickett von der Pittsburgh University. Was als Grund wohl kaum bis selten vorkommt ist mangelnde Passion oder Loyalität gegenüber dem eigenen Team.

Doch hier kommt Kirk Herbstreit wieder ins Spiel. Im Stile eines traditionsbewussten Oldsters verkauft Herbstreit Millionen von Zuschauern seinen „alten, wahren Football“. Ja, früher wäre so etwas nicht passiert! Und so lamentiert Herbstreit über eine ganze Generation an Nachwuchsspielern. Sie würden den Football nicht lieben („This era of players just don’t love football). Klar, Kirk, nimm mal deine Brille ab!

Zunächst gehört es sich für anständige Leute nicht, Liebe und Passion anderer zu werten oder durch Diffamierung zu reduzieren. Was weiß Kirk schon, wen oder was Jason, John oder Javonte lieben und wie sehr? Schlimmer noch: er überträgt es auf eine ganze Generation junger Männer, die in ihrem Leben kaum etwas anderes gemacht haben als Football zu spielen. Und mit dem Einsatz ihrer Körper für andere Geld erwirtschaftet haben. Mehr denn je werden angehende Stars in die Produktionsmaschinerie geworfen, bezahlen nicht nur mit dem Opfer ihrer Jugendzeit, sondern im schlimmsten Fall auch mit gesundheitlichen Folgen (immer noch gibt es keine abschließenden Erkenntnisse zum Thema CTE beim Football). Ganz davon abgesehen, dass Herbstreit hier wieder die unendliche Leier bedient und quasi ein generationelles Muster ableiten will, dass seinen „früher war alles besser“-Narrativ bedient, ist hier vor allem eins widersprüchlich: er muss aufgrund seiner Bezahlung diese ganzen Entbehrungen selbst nicht in Kauf nehmen und „zwingt“ die Spieler indirekt in ihre low-money-worker-Kaste zurück. Im kapitalistisch getriebenen College Football zählt wie in der NFL eines auch ganz enorm: die Einschaltquoten!

Ohne die Star-Spieler schalten die Leute nämlich seltener die Bowl-Games ein. Zudem: im letzten Jahr verlor ESPN rund 11 Millionen Abonnenten, was maßgeblich zur Talfahrt ihrer Aktien beitrug. Ist das nun folglich alles ein Narrativ, den ESPN bedienen will? Wurde Herbstreit evtl. sogar bezahlt bzw. darin unterwiesen solche Kommentare zu geben? Oder ist er einfach nur der enttäuschte Daddy, der es selbst nicht weit gebracht hat auf dem Rasen und jetzt in die Generationen-Trickkiste greift, um seine Oldschool-Wurzeln zu verteidigen?

Die Antwort dürfte irgendwo mittendrin liegen. Klar, Herbstreit hätte, wie die meisten Fans und Zuschauer auch, gerne die Teams in Bestbesetzung auflaufen sehen. Auch wir hätten gerne einen Kenny Pickett auf Addison zum Touchdown werfen sehen. Dennoch: durch das Aussparen des Kontexts erzeugt Herbstreit hier ein Gefühl von egoistischen, geldfixierten Spielern, die ja eigentlich nicht einmal das lieben, was sie tun. Das Gegenteil dürfte der Fall sein! Und wenn Herbstreit die Opt-Outs nicht mindestens dahingehend kontextualisiert, dass es Jahre dauerte bis diese jungen Männer eigenmächtig über ihre „eigene Marke“ verfügen durften und Jahrzehnte nur „für das System“ spielten, dann ist er im Grunde nur ein Diener eben jenes Kapitals.

Es wäre zu wünschen, dass sich die Obrigkeiten der College-Ligen und deren Vermarktungspartner auch mal ordentliche Gedanken zu Themen machen würden, die tagtäglich die Leben dieser jungen angehenden Profis ausmachen. Dazu gehören beispielsweise Fragen der finanziellen Absicherung, gewerkschaftlicher Partizipation oder gesundheitlicher Vorsorge. Denn die Risiken werden nicht von irgendwelchen TV-Kirks getragen, sondern von den Spielern, die in ihrer Karriere meist nur zwei Dinge haben: den Zugang zu einer akademischen Ausbildung und die Liebe zum Football - die Herbstreit ihnen abspricht!

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