Als die Raiders im NFL Draft 2022 in der 4. Runde an Position #122 ihren Spieler auswählten, sorgten die Verantwortlichen bei einigen Fans für verdutzte Gesichter. Überraschend wählte Las Vegas Georgia Running Back Zamir White, für den sie gar einen Trade machten, um einige Positionen früher zu picken als geplant. In der 7. Runde dann die nächste Überraschung: die Silver&Black holen Brittain Brown, Running Back von UCLA. Erstaunlich dabei nicht nur, dass die Picks vom Consensus nicht vorhergesagt wurden und noch andere namhafte Leute auf wichtigen Positionen zu haben waren, vielmehr waren die Selections aufgrund des bereits vollen RB-Rooms mehr als unwahrscheinlich. Las Vegas holte zu Beginn der Free Agency mit Brandon Bolden und Ameer Abdullah bereits zwei Veteranen. Insgesamt vergrößerte sich die Gruppe durch weitere UDFA-Signings auf zwischenzeitlich sieben Spieler. Overreaction oder doch der ganz normale Liga-Alltag? Eine Bestandsaufnahme.
Was planen die Raiders mit ihren Running Backs? Diese Frage tauchte in den letzten Wochen häufiger auf und man darf gespannt sein, was sich McDaniels und Co. dazu einfallen lassen. Mit Josh Jacobs und Kenyan Drake verfügte Vegas bereits am Anfang der Off-Season über solide Backs. Diese wurden durch die Ergänzungen von Bolden und Abdullah mit Tiefe aufgewertet. Die Drafts von White und Brown sind hingegen ganz klares Zukunftskalkül und insbesondere White dürfte sich bereits in der kommenden Saison behaupten, er wird einige Snaps bekommen und gilt als Future Starter. Die Addition von Sincere McCormick (der mittlerweile bereits auf der Injured Reserve List steht) rundete das RB-Karussell schlussendlich ab. Eine wahre Flut an neuen Backs! Und doch: die Raiders werden diese Competition enorm brauchen! Weil Josh Jacobs und Kenyan Drake in den letzten Jahren verletzungsanfällig waren (Jacobs verpasste letztes Jahr zwei Spiele und spielte through pain, verpasste fast wöchentlich Trainingseinheiten; Drake kam in nur 12 Spielen zum Einsatz) und Alt-Raider Jalen Richard nie den Status eines Full-Time-Backups bekommen hat, sind die Selections im Nachhinein doch eine logische Konsequenz. Das häufige Fehlen und die Langzeitauswirkungen der Verletzungen machten sich dann doch deutlich bemerkbar. So belegten die Raiders Liga-weit nur Position 27 im Laufspiel mit einem Durchschnitt von lediglich 95.1 Yards pro Spiel und insgesamt nur 1617 Yards. Hinzu kommen die Snap-Counts der Protagonisten. Jacobs lief 2021 nur 217 Mal, was stattliche 115 Versuche weniger bedeutet als die Liga-Spitze (Jonathan Taylor). Die Einbindung Kenyan Drakes ins gesamte Spiel war ebenfalls zu sporadisch und von wenig Konstanz geprägt. Drake bekam im Durchschnitt pro Spiel nicht einmal vier Laufversuche und fing knapp über zwei Pässe. Die Ausschöpfung seines Potentials: ungenügend. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Drake ursprünglich geholt worden war, um im Pass-Spiel Akzente zu setzen. Für einen 11 Mio. $-Vertrag leider zu wenig. Die Investition in die Zukunft wurde damit zur Makulatur. In Zamir White haben die Raiders eindeutig einen potentiellen Nachfolger verpflichtet. Ob nun als zukünftiger Starter oder vorübergehender Backup. 2021 brachte es White auf 856 Yards bei 160 Versuchen. Immerhin ein Durchschnitt von 5.4 Yards pro Laufversuch. In White sehen die Raiders-Chefs einen elektrisierenden Spieler mit High Motor, einen physischen Downhill-Runner, der insbesondere bei 3rd Downs und in der Redzone gefährlich ist. Damit will Vegas offensichtlich bisherige Schwächen in Stärken ummünzen. Ich prognostiziere für White, dass er sich relativ zeitnah die Backup-Rolle sichern wird und spätestens nächstes Jahr den Fulltime-Starter-Job bekommen wird. Im Gegensatz zu White stehen die restlichen Running Backs für Tiefe und Wettbewerb. Brandon Bolden, der bereits in New England unter McDaniels unter Vertrag stand, hat hierbei wohl die größten Chancen. Interessanterweise kommt Bolden aus seinem statistisch gesehen besten Jahr, was Passing Yards anbelangt. Zwar lief er für die Patriots 2021 nur für 226 Yards (was einem ähnlichen Pensum wie dem Drakes gleichkommt), er fing allerdings satte 41 Pässe für 405 Yards und immerhin 2 Touchdowns. Seine Eignung fürs McDaniels-sche System ist damit mehr als bewiesen, vor allem wenn man bedenkt, dass er bereits 31 Jahre alt ist und nie in seiner Karriere über eine Backup-Rolle hinauskam. Bei Ameer Abdullah sieht das schon anders aus. Der ehemalige 2nd Round Pick von Nebraska schaffte es nie wirklich in der NFL Fuß zu fassen, letztes Jahr spielte er für Carolina und Minnesota sogar für zwei Teams. Immerhin hatte er dort 38 Receptions im Passing Game. Sein Pass Blocking ist aber deutlich schlechter als das von Bolden. Die Erwartung, dass er in den Active Squad kommt, ist damit äußerst unrealistisch. Was die Raiders mit Brittain Brown vorhaben, steht derzeit noch in den Sternen. Brown ist ein mehrjähriges Projekt, dessen Entwicklung nach einem Jahr nochmals neu bewertet werden wird. In der siebten Runde eines Drafts picken die Teams riskanter als in den Vorrunden. Während in den ersten Runden solide Picks im Vordergrund stehen, kommt es in den hinteren Runden darauf an die größte Upside zu picken, nach dem Motto: Hopp oder Topp! Anscheinend sehen die Raiders in ihm einen Developmental Player mit viel Potential. Ausgeformt scheint aber anders, ein Safe Pick ist Brown keineswegs. Es wird also interessant, ob er überhaupt eine Rolle spielen wird. Der als UDFA geholte Sincere McCormick war lange Zeit einer der besser gegradeten RBs im Draft. Dass er im Prozess so weit abfiel, war eine Überraschung. Die Raiders bekamen hier einen hohen Value, gemessen an seinem Status als ungedrafteter Spieler. Die entscheidende Frage wird sein, ob die Raiders planen mit vier oder fünf Running Backs in die Saison zu gehen und was ihre Zukunftspläne mit dem Personal des alten Regimes sind. Es zeichnet sich ab, dass Jacobs‘ viertes Jahr als Raider sein letztes werden könnte. Mit einem Salär von 3.7 Mio. $ geht er zwar in sein bestbezahltes Jahr seiner Karriere, sein Nicht-Erscheinen bei den OTAs bringt allerdings die Sorge mit, er könne einen Hold-Out planen. Jacobs will definitiv bezahlt werden und weil die Halbwertszeit bei Running Backs in der NFL sehr gering ist, wird der nächste Vertrag sein vielleicht letzter und gleichzeitig größter werden. Ein Jacobs-Hold-Out könnte allerdings fatal sein. Denn die Raiders werden eher seine Leistungen sprechen lassen wollen. Ergo, wenn Jacobs eine gute Saison hat, kann man über eine Verlängerung reden, wenn er floppt, wird er definitiv ersetzt werden. Sollte Jacobs in einen Hold-Out gehen, stehen zudem die Chancen gut, dass man ihn in einen Trade integrieren wird. Dennoch glaube ich, dass das nicht passieren wird, denn wenn Jacobs gesund bleibt, dann ist er Gold wert. Trotz seiner Verletzungsanfälligkeit schaffte er in seinen ersten beiden Jahren jeweils über 1000 Yards und auch letztes Jahr machte er immerhin neun Touchdowns trotz geringerer Anforderungen. Von daher ist ein Kenyan Drake Deal deutlich wahrscheinlicher. Die Raiders hätten dann mit Jacobs, White und Bolden ein immer noch fähiges Trio. Dennoch glaube ich, dass sich im Running Back Room bis zu Saisonstart nichts mehr tun wird und die Raiders mit ihren bisherigen Leuten fahren werden. Meine persönliche Vorhersage des Line-Ups ist folgende:
- Josh Jacobs
- Zamir White
- Kenyan Drake
- Brandon Bolden
Einen fünften Running Back werden die Raiders m.M.n. nicht in den aktiven Kader bringen. Abdullah wird Wettbewerb in die Unit bringen und Brown schlicht und einfach noch nicht so weit sein, einen spürbaren Einfluss nehmen zu können. Müsste ich einen Trade vorhersagen, würde ich sagen: Kenyan Drake. In jedem Fall wird einiges an Spannung zu erwarten sein und sollten alle der vier genannten Spieler am Ende im aktiven Kader sein, kann sich der Raiders-RB-Room deutlich sehen lassen. Denn dann spielen die vorhandenen Spieler um ihre Zukunft und neue Verträge. Einen Rohdiamanten wie White dann im Team zu haben ist eine Wohltat. McDaniels und Ziegler haben hier früh auf die Zukunft einer Offense gesetzt, die sich enorm verstärkt hat und wie es aussieht die kommenden Jahre größtenteils gemeinsam bestreiten wird. Daher sind die Picks im Nachhinein nicht ganz so überraschend, wie wir es vermutet hatten. So erscheint der Raiders Running Back Room 2022 vor allem aus zwei Komponenten zu bestehen: einem hart umkämpften Wettbewerb, in dem sich eine neue junge Generation an Backs mit Veteranen misst, die allesamt um ihre eigene Existenz spielen. Und: einer Vorsorge für die Zukunft. Jetzt geht es darum, dies auch auf dem Feld umzusetzen.