Nach unzähligen Stunden Scouting und der Beschäftigung mit mittlerweile über 100 Prospects nehmen meine persönlichen Bestenlisten langsam Form an. Heute werfen wir einen Blick auf die Linebacker-Klasse. Die Raiders sind auf dieser Position unterrepräsentiert, wir können also davon ausgehen, dass mindestens eine Verstärkung über den Draft verpflichtet wird. Im Folgenden soll auf die (unnötige) Gleichstellung von Off-Ball-LBs und OLBs mit Edge Rushing – Funktion zwar nicht vollends verzichtet werden, wobei angemerkt werden soll, dass eine Betrachtung der DE/Edge-Position separat folgen wird. Die Position des "klassischen" Linebackers ist jedoch insgesamt schwerer zu bewerten, da sie in modernen Systemen eine geringere Rolle spielt bzw. von LBs mittlerweile hybride Aufgabenteilung erwartet wird. Die Rolle des „klassischen“ Linebackers stirbt etwas aus, teils haben die Teams nur ein oder zwei in ihren Formationen. Ich habe hier aber bewusst auf die Integration von Ends und „reinen“ Edges verzichtet. Hier nun meine persönlichen Top-10
1. Jack Campbell, Iowa
Jack Campbell ist der Real Deal und einer meiner Lieblingsspieler im kommenden Draft. Er stellt einen klassischen MLB Typus dar und ist fähig, große Räume in der Spielfeldmitte zu decken. Er gewann unter anderem den Butkus Award für den besten College Linebacker und seine Stärken sind enorm gefragt. Er ist der wohl beste Coverage-LB der Klasse, zeigt aber auch an der LOS enormen Impact, da er sowohl ein zuverlässiger Tackler, als auch Gap Penetrator ist. Sein Long Speed ist ausbaufähig, dennoch kann er Sideline-to-Sideline agieren, Gaps attackieren, Blocks shedden und seine Gegner festsetzen - er ist bei jedem Play in der Nähe seines Gegenspielers und arbeitet schön gegen 2nd Level Blocks, lässt sich kaum bewegen. Für die Raiders interessant: er ist einer der besten Inside Blitzer der Klasse, kann durch seine Versatility aber auch als End agieren. Off-Ball ist Campbell jedoch deutlich besser. Im Vergleich zur letztjährigen Draft-Class ranke ich ihn höher als bspw. Chad Muma. Für mich ist Campbell ein klarer 1st Round Pick. 2022 machte er in 804 Snaps stolze 114 Tackles (77 Solo), zwei INTs und steuerte immerhin 13 QB Hurries bei.
Grade: 8.9
2. Trenton Simpson, Clemson
Nie wieder ein Clemson Defender in Runde 1! So oder so ähnlich dachte ich spätestens seit dem Draft Bust von Clelin Ferrell, der ebenfalls damals von den Tigers in die NFL kam. Wenn ich dieses Diktum auf den Draft 2023 übertrage, komme ich zu dem Schluss: ich liege richtig – und irre dennoch. Soll heißen: lasst die Finger von Myles Murphy – und wählt lieber Trenton Simpson. Er wird sich nämlich ohne Umschweife einen Startplatz in seinem zukünftigen Kader sichern. Simpson ist einer der besten Athleten in diesem Draft und bringt als Sohn eines US Army Rangers eine gewisse Tough Guy Mentalität und Disziplin mit ins Spiel. Man könnte sagen er ist ein Allrounder und kann viele Dinge auf die es ankommt: er kann Tight Ende in Man Coverage decken, große Receiver covern, aber dennoch mit flinken, schnellen Spielern mithalten. Doch was wirklich heraussticht: er beherrscht das QB Containment und hat eine irre Vision, was Räume angeht. Er zeigt Skills beim QB Spy und schafft es immer wieder Cut-Back-Lanes zu covern oder Laufwege für QBs einzudämmen, wenn diese aus der Pocket ausbrechen. Er hat ein natürliches Gefühl für die Pocket und die Routen der Receiver in der Spielfeldmitte. Ergo: er kann Mahomes & Co. stoppen und würde den Raiders helfen, eine Präsenz in der Mitte zu entwickeln. Scheme-bezogen würde er in der Mitte zu einem physischeren LB passen, der noch härter die Trenches attackieren kann. Die Frage bleibt, ob Divine Deablo dieser Rolle gerecht werden kann?
Grade: 8.8
3. Drew Sanders, Arkansas
Sanders ist ebenfalls einer meiner Liebingsspieler der gesamten Klasse und reiht sich hier an Nr. 3 der LBs ein. Sein Skill-Set ähnelt in manchen Punkten dem Campbells‘, unterscheidet sich aber dennoch in wichtigen Punkten. Sanders ist ein High Motor Spieler mit wahnsinnigem Burst und gutem Antritt, sowie präziser Technik im Initial Contact. Darüber hinaus einer der härtesten Hitter der Klasse. Im Vergleich zu Campbell holt man ihn aber eher in einer Edge Rushing Funktion. Sanders kann zwar ILB spielen, dass es dafür in der NFL reicht, bleibt aber zu bezweifeln. Er ist zwar athletisch, wird aber körperliche Probleme in der Mitte bekommen. Daher sollte man ihn an der LOS einsetzen. Als reiner Edge wird er aber ebenfalls Probleme bekommen. Er schlägt Gegner durch Speed und Change-of-Direction und weniger durch Mikro Movements oder Kraft. Es bleibt daher abzuwarten, wie er die Transition meistert. Von seiner Production her gesehen ist Sanders klar einer der besten Defender der Klasse. 2022 übte er 39 Mal Druck auf gegnerische QBs aus und ergatterte irrwitzige 11 Sacks. Sein QBR in der Coverage ist bescheidener (88.0), weswegen Campbell (70.6) hier deutlich den Vorzug bekommt. Sanders ist für mich ein Karlaftis Light auf außen und ein Cunningham Light in der Mitte. Im Übrigen: wer denkt Arkansas wäre zu wenig aussagekräftig sollte wissen, dass Sanders ein ehemaliger Alabama-Transfer ist. High Ceiling!
Grade: 8.6
4. Owen Pappoe, Auburn
Die große Frage bei Owen Pappoe ist: untermauert seine Combine Leistung seine Field Performance oder sind wir zu sehr von ihr geblendet? Pappoe lief vor wenigen Wochen den 40-Yd.-Dash in 4.39 Sekunden, hatte den viertbesten Broad Jump, sowie den fünftbesten Vertical Jump aller Teilnehmer. Zudem ist er ein ehemaliges 5-Star-Prospect, bringt also nicht nur athletische, sondern auch spiel-bezogene Credentials mit. Wir sind also begeistert. Als eher kleiner Linebacker macht kann er durch Speed mehr dominieren als durch Physis und Körperbau, er scheut allerdings nicht den Kontakt und arbeitet an den Stellen, wo es weh tut. Wer nach Speed und einem kontaktfreudigen Spieler Ausschau hält, sollte sich Pappoe nicht entgehen lassen. Er besitzt Short Area Quickness, laterale Skills und Explosivität. Ein sehr energetischer Spieler, dem man ansieht, dass er nie aufgibt. Beim Tackling ist er ein Clean Hitter, er muss aber noch an seinem Timing arbeiten, denn zwischenzeitlich verpasst er einige Tackles, insbesondere in 1v1 Situationen. Wenn er Speed-Duelle gewinnen muss hilft ihm aber sein weiträumiger Range und seine Klettenhaftigkeit. Für mich ist Pappoe ein sicherer Top-5 Pick auf Linebacker und verdient sich ein 2nd Round Grade. Für mich ein Leistungs-Indikator: seine Nominierung in die Top-10 von Bruce Feldmans Freak-List, wo er an #8 geranked wurde. 2022 zeigte er sich verbessert zum Vorjahr und arbeitete hart an seinen Schwächen. 2021 ließ er noch einen gegnerischen QBR von 117.9 zu, 2022 nur 77.0. Als Pass Rusher wird er zwar seltener eingesetzt, zeigte mit zwei Sacks aber eine hohe Effektivität. In Interviews wirkt Pappoe reif und bedacht, was seine Stärken und Schwächen angeht, was mir den Eindruck vermittelt, dass er ein Fast Learner ist, dem eine gewisse Professionalität innewohnt.
Grade: 8.6
5. Ivan Pace Jr., Cincinnati
Ivan Pace habe ich bereits bei meinen Draft Sleepers vorgestellt. An ihm gefällt mir sein aggressives Spiel mit Downhill Skills und einer schnellen Diagnose-Fähigkeit und Football IQ, sowie seine Instinkte. Pace ist ein explosiver Athlet und einer der besten Block Shedder der Klasse. Vor wenigen Wochen konstatierte Pace auf einer PK, er könne einen Top-5 Pick in diesem Draftjahr darstellen, wäre er größer. Und in der Tat: er ist einer der kleinsten LBs der Klasse. Und dennoch: Pace ist ein 3-Down-LB mit ausgeprägten Fähigkeiten im Run Stop, dem Edge Setting und der Short Area Coverage. Missed Tackles kann man bei ihm wenige erwarten, er ist ein sehr guter Tackler mit schöner Balance und Körperkontrolle beim Tackling und davor. Kein Overpursuing, kein Schlucken von Fakes. Leider kann er es nicht mit größeren Spielern und einigen Tight Ends aufnehmen und hinterließ 2022 ein trauriges QBR von 140.2 gegen ihn. Seine 53 Pressures und 24 QB Hurries weisen aber darauf hin, dass Pace ein mögliches Perryman Replacement werden könnte – aus Sicht der Raiders. Alles in allem ist Pace eine disruptive Kraft mit viel Potenzial, die deutlich athletischer und beweglicher ist als bspw. Darrian Beavers, LB von Cincinnati, der letztes Jahr gedrafted wurde.
Grade: 8.3
6. Dee Winters, TCU
Dee Winters zu weit unten einzuranken, wäre eine Unverschämtheit. Erst vor wenigen Monaten spielte er das Spiel seines Lebens, als er TCU im CFB-Halbfinale mit einem Pick-6 nach Hause verabschiedete und seine Uni mit dem zwischenzeitlichen 34-16 - Vorsprung dem Einzug ins Finale einen Schritt näher brachte. Wenige Wochen später demonstrierte er seine positive Entwicklung bei der Combine, als er einen ansehnlichen 4.57 40-Yd.-Dash lief. Bei ihm interessiert mich die vollbrachte Transition von Safety auf Linebacker, sowie sein instinktives Spiel. Winters ist ein 2nd Level Defender mit Coverage Fähigkeiten, der aber jede Linebacker Position spielen kann und durch Positional-, wie Scheme Versatility gleichermaßen glänzt. Er ist ein schneller Spieler, der auch blitzen kann und verfügt über einen explosiven Antritt und Closing Speed gleichermaßen. Er kann als Disrupter fungieren, erinnert mich gelegentlich an einen schwereren Malcolm Butler, wenn er als OLB in der Redzone agiert. Seine Entwicklung steht und fällt mit dem Erlernen des Run Stops. In der Box fehlt es ihm an schnellem Decision Making eines Pace oder Pappoe. In Intermediate Passing Situations und in der Short Area kann er aber durch brilliante Anpassungsfähigkeit glänzen. Wenn er an seinem Block Shedding arbeitet und seine Play Diagnose verbessern kann, sehe ich in ihm eine hohe Upside. Ich denke, Winters ist in jedem Fall eine solide Wahl und wäre auch für die Raiders eine interessante Option in Runde 3. Mit etwas Entwicklungszeit kann ich mir aber vorstellen, dass er ein starkes Breakout Potenzial hat. Seine Leistungen waren durchweg von Highlights geprägt. Bereits am Saisonbeginn hatte er enorm gute Spiele gegen Texas und Baylor.
Grade: 8.2
7. Henry To’oto’o, Alabama
To’oto’o war lange Zeit das #1 Prospect der Draft Charts. Warum er das nicht mehr ist, dürfte klar sein: er ist körperlich etwas unterlegen und muss definitiv zulegen. Und das macht auch mir Sorgen. Wir sehen häufig, wie er an der LOS und im 2nd Level gegen größere Linemen untergeht bzw. umher geschoben wird. Er spielt zwar gegen den Lauf gleichermaßen konstant wie gegen den Pass. Wenn er zum Ballträger kommt ist er ein sehr sicherer Tackler. Sein hoher IQ und seine Übersicht, sowie schnelle Reaktionszeiten, ein gutes Timing und sehr gute laterale Bewegunsabläufe gehören zu seinen Vorzügen. Wenn er aber in den Trenches oder bei Traffic arbeitet, sieht man den physischen Nachteil. Er hat Probleme mit Winkeln und sauberem Hand Placement, sowie der Stellung zum Gegenspieler und fällt zudem auf Fakes rein – er ist ein Overpursuer. Auch wenn ich vor einem Jahr noch begeistert war, sehe ich ihn nicht als langfristige Lösung in der Mitte. Nakobe Dean Vibes werden wach! Dieser, im letzten Draft noch hochgepriesen, hatte in seinem ersten NFL Jahr nämlich ebenfalls Probleme, physisch mitzuhalten. Hoffen wir, To’oto’o kann sich diesbezüglich steigern.
Grade: 8.0
8. Dorian Williams, Tulane
Und hier wären wir wieder bei der Off-Ball Diskussion. Während Sanders und Herbig eher Pass Rusher darstellen, ist Williams ein fast reiner Off-Ball-Linebacker. Sein 83.3 Overall Grade bei PFF sehe ich ähnlich. 2022 brachte er es auf 97 Tackles bei einem Tackling Grade von 80.8. Williams ist ein guter Athlet mit dem nötigen Speed um mit allen möglichen Sorten von Gegenspielern in Coverage mitzuhalten. Zudem ist er ein exzellenter Run Stuffer, der schnell am Play ist und schöne laterale Movements zeigt. Sein Speed (Combine 4.54) macht ihn zu einem 3-Down Sidepline-to-Sideline LB und sein Spiel zeugt im Allgemeinen von flüssigen Bewegunsabläufen. Im Pass Rush konnte er immerhin 22 Pressures einfahren, in Coverage sorgte er für zwei INTs und 3 PBUs im letzten Jahr. Heraus stechen seine sechs Sacks, die er durch gutes Blitzing in Szene setzen konnte. Was ihm Schwierigkeiten bereitet sind Double Teams und die Aufnahme von Blocks. In der NFL wird er häufig „off-guard“ erwischt werden. Was aber wieder positiv hinzu kommt: er bietet auch Kadertiefe in den Special Teams. Um ehrlich zu sein habe ich von ihm am wenigsten Spielszenen gesehen, um mir einen abschließenden Eindruck zu machen. Was mich etwas beunruhigte war die Tatsache, dass er gegen bessere Teams Leistungseinbrüche hatte, was eventuell auf fehlende Konstanz auf dem Pro Level hinweisen könnte. Insgesamt würde ich ihn aber als soliden 3rd Rounder sehen.
Grade: 7.7
9. Nick Herbig, Wisconsin
Nick Herbig gibt mir Leo Chenal Vibes. Als Odd Front Linebacker am besten aufgehoben, ist er etwas leichter als Chenal, zeigt aber ebenso aggressiven Burst und Explosivität wie sein ehemaliger Team-Kollege. Herbig ist kein reiner Edge, er kann auch auf der Inside eingesetzt werden, ist mehr ein Ball Swarmer, als ein Edge Setter oder Physis-ILB. Teammates berichten über seine mentale wie physische Toughness und das überragende Mindset. Herbig ist ein typischer „Football Guy“, er liebt das Spiel und saugt es auf, kann Impact über Präsenz und Energie erzeugen. Ich habe ihn bewusst nicht bei den Edges gebracht, weil er auch ein guter Coverage Spieler ist (Zone) und bewusst off-ball eingesetzt wird. Er zeigt gutes Lateral Movement und kann auch in Coverage droppen. Dennoch scheint seine Funktionalität nur in spezifischen Sets und Downs Wirkung. Er tut sich schwer beim Run Stop und wirkt als Designated Pass Rusher sicherer als ein multifunktionaler LB. Scheme-bezogen ist er ein typischer 3-4 OLB. Seine Funktion könnte man am besten mit der Transition von Haason Reddick beschreiben, der in Arizona noch weitgehend off-ball spielte, dann aber vorgezogen wurde und plötzlich 12.5 Sacks kontributierte. Interessant auch: In seiner Familie steckt bereits NFL Erfahrung, sein Bruder spielte als O-Liner bei den Jets. Es mangelte ihm daher nie an den Insights und einer kompetitiven Umgebung. Für mich ist Herbig ein Value 3r Rounder, der in der richtigen Umgebung situationsbezogen Einfluss auf hohem Level entfalten könnte.
Grade: 7.6
10. Daiyan Henley, Washington State
Henleys Körpermaße sind wie geschaffen für seine Rolle. Ein großer Spieler mit Long Frame und Range, ein Prototyp-LB, stark, explosiv und ein sehr guter Tackler. Ein Sideline-to-Sideline Spieler, der zudem noch relativ jung und formbar ist. Als Contributor in den Special Teams hat er sich ebenfalls einen Namen gemacht. Seine Athletik ist in Ordnung, aber ausbaufähig. Er ist mehr Downhill Spieler mit gutem Blitzing, aber zu wenig beweglich und seine Coverage Skills fürs nächste Level sind ungenügend. Im Consensus rankt Henley deutlich höher (2nd/3rd Rd.), mir erscheint er zu limitiert, um in der NFL ein 3-Down-LB zu werden. In einer bestimmten Rolle kann er aber ein solider Rotations-Spieler werden, denn das was er kann, kann er gut. Er zeigt eine schnelle Reaktion auf Run Plays, ist schnell am Gegenspieler und kann Druck auf der Inside und an der LOS erzeugen. Als ehemaliger Receiver verfügt er zudem über den Speed, um als Run&Hit Guy erfolgreich zu werden. Ich sehe Henley als 4th Rounder, also etwas unter dem Konsens, er kratzt aber definitiv an den Top-100.
Grade: 7.6
Honorable Mention: Noah Sewell (zu eindimensional), DeMarvion Overshown (zu inkonstant, zu fehleranfällig), Mohamoud Diabate
Sleepers: Jeremy Banks (Achtung, Character Issues!), Ventrelle Miller, Abraham Beauplan, Micah Baskerville