Zwischen Stardom und Mythos: Bo Jackson als Ikone einer Ära
Die 1980er Jahre stellten für die Raiders eine Zäsur dar und prägten wie kaum eine andere Zeitspanne den historischen Werdegang der Franchise, sowie die Mentalität ihrer Anhänger – und letztlich die eigene Marke. Der Umzug nach Los Angeles und der zweimalige Gewinn des Super Bowls machten die Raiders zu einer Dynastie, die es sich zum Ziel schrieb, sportlichen Erfolg nicht nur zu konsolidieren, sondern sich gleichzeitig neu zu erfinden. Der Wandel im Profi-Sport der 80er signalisierte dabei den Aufbruch in ein neues Zeitalter, in dem einerseits sportliche Rekorde gebrochen wurden und ein qualitatives Aufstreben innerhalb der Sportarten zu beobachten war. Andererseits markiert es den Übergang des Sports vom Semi-Professionalismus der 70er hin zum Daten-basierten, analytischen Hochleistungssport, in dem Athleten neue Richtwerte für Professionalismus, Hingabe und Exzellenz setzten und gleichzeitig mehr denn je im Spannungsfeld sozialen Wandels, wirtschaftlicher Umwälzungen und politischer Veränderungen operieren mussten. Der Aufstieg der Sport-Stars der 80er beruhte nicht nur allein auf ihrer Wettbewerbsfähigkeit – er beruhte auch auf Transformation.
Allein deswegen gelten die 1980er bis heute auch als Jahrzehnt der Sport-Ikonen, als unvergessene Ära der Superlative, in der der US-Sport einerseits globale Aufmerksamkeit erlangte, andererseits Athleten ihr sportliches Können transzendierten und zu kulturellen Ikonen wurden. Während Stars wie Michael Jordan oder Magic Johnson den Basketball-Sport revolutionierten, Wayne Gretzky dem Eishockey seinen Stempel aufdrückte oder Carl Lewis die Leichtathletik dominierte, suchte auch die Football-Welt nach ihren Idolen. Interessant ist hierbei, dass die Strahlkraft der Idole der 80er bis in die Moderne reicht. Die Nostalgie der Ära kann als Bindeglied der Inspiration verstanden werden. Die sportlichen Blaupausen, die Sport-Stars der 80er schafften, sollten modernen Athleten als Anknüpfungspunkte ihrer eigenen Karriere-Planung dienen und gleichzeitig sportliche Innovationen vorantreiben. So ist es auch keine Überraschung, dass der langjährige Raiders Running Back Josh Jacobs eine der wenigen Ikonen der Franchise-Geschichte als Mentor und Idol begreift: Marcus Allen, der zwischen 1982 und 1992 als Running Back für die Raiders spielte und mit dem Team 1984 den Super Bowl gegen die Washington Redskins gewann. Allen gilt als erfolgreichster Rusher der Franchise-Geschichte und hält mit insgesamt 8.545 Yards und 79 Touchdowns in einer Zeitspanne von zehn Jahren interne Rekorde für Raiders Running Backs. Sein Vermächtnis weist neben dem Super Bowl Sieg, bei dem er zusätzlich zum MVP gewählt wurde auch eine League-MVP-Auszeichnung 1985, sechs Pro Bowl- Teilnahmen, die Heisman Trophy aus seiner College-Zeit, sowie die Berufung in die Pro Football Hall-of-Fame auf. Allens sportliche Erfolge blieben in der Folgezeit unbeantwortet, kein Spieler in der modernen Raiders-Geschichte ist bisher in seine Fußstapfen getreten. So verkörpert Allen wie kaum ein anderer Raider eine ikonographische Anlehnung an die „Exzellenz der 80er“ – vorausgesetzt man klammert ein Phänomen aus, das den Raiders in der gleichen Ära gar zu pop-kulturellen Zügen verhalf: Bo Jackson.

Eines der bekanntesten Fotos der US- Sportgeschichte der 1980er entstand im Zuge einer vom Sportartikel-Hersteller NIKE veranlassten Werbekampagne für den Verkauf von Sport-Schuhen. Es zeigt den damaligen Raiders Running Back und möglichen Allen-Langzeit-Erben Bo Jackson, der Oberkörper-frei in Shoulder Pads und Baseball-Schläger posiert. Obwohl die Kampagne unter dem Motto Bo Knows vorwiegend auf Video-Sequenzen für TV-Werbungen setzte, sollte das Foto, das ursprünglich nur begleitend aufgenommen wurde, eine viel größere und nachhaltigere Wirkung entfachen. Einerseits dient es als kompakter, visueller Verweis auf das, was Jackson als Mega-Talent zu leisten bereit war. Ein ikonographischer Lobgesang auf sein einzigartiges Können. Denn als sich Jackson zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung der Werbe-Serie 1989 bereits im dritten Vertrags-Jahr in der NFL befand, hatte er sich nicht nur als spektakulärer Running Back einen Namen gemacht, er galt auch als generationsübergreifendes Multi Sports Talent. Neben Football spielte Jackson auch Baseball, ja man kann sagen Baseball war sogar seine bevorzugte Sportart. Bereits 1982 wollten die New York Yankees ihn in die Major League Baseball befördern. Doch er entschied sich für einen Verbleib an der University of Auburn, für die er für das Team der Tigers sowohl im College Football, als auch im College Baseball aktiv war. Aus dieser Zeit stammt auch das als Jacksons Signature Move bekannte Sprung-Manöver Bo Over The Top, das als Begriff Einzug in die College Football Historie fand. Es fand seinen Ursprung in einem Touchdown Play von Jackson in seinem ersten Jahr bei den Tigers. Auburn spielte im sogenannten Iron Bowl in ihrem Rivalry Game gegen Alabama. Beim Spielstand von 17:22 übersprang Jackson bei einem 4th Down zwei heraneilende Defender und sorgte für einen historischen 23:22-Sieg seiner Mannschaft. Obwohl Jackson später gestand, dass Baseball seine „wahre Liebe“ sei, so bekräftigten seine sportlichen Erfolge im Football den Willen oder der Gewinn der Heisman Trophy 1985 seine Entscheidung, 1986 beim NFL Draft anzutreten. Mit dem ersten Pick in der ersten Runde wurde Bo, mit bürgerlichem Namen Vincent Edward Jackson, dann von den Tampa Bay Buccaneers gedraftet. Doch es sollte nie zu einer Partnerschaft kommen. Weil er gleichzeitig vom Baseball-Team der Kansas City Royals in der vierten Runde des MLB-Draft ausgewählt wurde, weigerte sich die Franchise aus Florida letztlich, Jackson in beiden Sportarten spielen zu lassen, weswegen es am Ende zu keiner Unterschrift kam. Dass dies seine Football-Ambitionen zunächst behinderte, ist kein Geheimnis. In seiner Rookie-Saison in der Major League Baseball spielte er nur eine untergeordnete Rolle und die lange Ausbildungszeit von Start-Spielern im Baseball sollte ihr Übriges tun. Er erkannte, dass er eine erfolgreiche Karriere am besten in der NFL umsetzen konnte. Daher entschied er sich 1987 ein zweites Mal beim NFL Draft anzutreten. Statt mit einem Top Spot wurde er dieses Mal allerdings mit weniger Vorschusslorbeeren empfangen. Die Zweigleisigkeit seines Athleten-Daseins schreckte einige Franchises ab und letztlich wurde Jackson von den Raiders, die kein Problem mit ihr hatten, erst an 183. Stelle ausgewählt. The rest is history! Oder, wie man in Anlehnung an die Bo Knows– TV-Spots sagen würde: Bo knows football! So galt Bo Jackson in seiner – retrospektiv kurzen – vier Jahre anhaltenden Karriere, als Wunderwaffe und ideale Ergänzung zu Marcus Allen. Und das, obwohl er letztlich nach kurzer Zeit seine NFL-Karriere beenden musste.
Doch das oben erwähnte Shoulderpads & Bat– Foto von Jackson ist eben nicht nur ein Verweis auf sein Ausnahme-Talent als Multi-Sportler. Es ist in seiner Ästhetik einzigartig und betont die (pop)-kulturelle Anlehnung, die einige Sport-Stars der 1980er repräsentierten. Diese Ästhetik und die durch das Bild verbreitete Lesart ist es, was Jackson letztlich auch zu einer Art Ikone machte, ihm Status verlieh – zumindest im Haus-eigenen Kosmos der Raiders, aber darüber hinaus auch auf der Weltbühne des Sports. Das bekannte US-Sportmagazin Sport Illustrated titelte dazu in einem Online-Artikel: Behind the Card: The 1990 Score Bo Jackson Black&White – The Card That Made Us Believe Anything Was Possible. Gegenstand des Artikels ist eine Sports Trading Card, die 1990 vom Collectibles-Hersteller Score vertrieben wurde und Jacksons Foto in schwarz-weiß abbildet. Neben der Bildmacht, die das Foto aufgrund der Zentrierung eines modernen athletischen Körpers ausstrahlt, dürfte im Hinblick auf seine kulturelle Wirkmacht wohl auch die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass Jackson als schwarzer Athlet mit Tabus brach, die die 1980er als Abgrenzung zur post-rassistischen US-Gesellschaft der 1960er und 70er Jahre einordnen. Jackson war nicht nur ein Baseball-Spieler. Jackson war nicht nur ein Football-Spieler. Er war ein Phänomen, das bis in die Pop-Kultur hinein reichte. Man könnte sagen: Bo Jackson war nicht nur einer der ersten Super Stars, er war auch ein Mythos. Wenn Sports Illustrated den ideellen Wert dieser Sports Card nicht in ihrem Raritäts-Grad sieht, sondern postuliert: „Sie ist von Wert, weil sie uns erinnern lässt“, dann behält sie dahingehend Recht, als dass von dem Bild eine Art magische Faszination ausgeht. 2013 verklagte der Fotograf des Bildes, Richard Noble, die Sport-Firma NIKE auf Schadensersatz wegen unsachgemäßer Verwendung des Fotos. Seither darf Bo Jackson keine Autogramme mehr auf die Karte setzen. Dies führte dazu, dass die Trading Card Authentifizierungs-Firma PSA einen Gesamtbestand von nur 25 signierten Bo Jackson- Karten angab, die teils für tausende Dollar gehandelt werden. Diese boomenden Preise verdeutlichen, welch hohen Stellenwert Jacksons Darstellung innerhalb der Sport-Fotografie hatte und immer noch hat. Der Einzug Bo Jacksons in die Pop-Kultur ist zudem an mehreren Beispielen belegbar, bei denen der Werbe-Slogan Bo Knows direkte Verwendung findet. In einer Episode der Zeichentrick-Serie Teenage Mutant Hero Turtles konfrontiert Superheld Donatello einen Gesetzesbrecher mit den Worten: Donatello knows Bo! In der US-Version der Sesam-Straße gastierte er bei den Muppet-Figuren, die fortwährend erwähnen: Bo Knows! Der Reggae-Musiker Ini Kamoze proklamierte in seinem Sing Here Comes the Hotstepper, er wisse, was Bo nicht wisse und selbst in der Videospiel-Reihe Madden erschien 2022 ein Rückbezug auf die Kampagne. Die pop-kulturelle Präsenz als Folge dieser Bild-Interpretation verweist auf die ikonographische Wirkmacht, die Jackson seinerzeit entfaltete.
Auch die Anhänger der Raiders nahmen vom Stardom Jacksons Notiz, doch bei näherem Hinsehen ist seine Geschichte auch ein Mythos. Trotz eines für sich sprechenden College-Resümees darf man nicht außer Acht lassen: In den vier Jahren in der NFL fiel Bo Jackson zwar weiterhin durch seine spektakuläre Spielweise auf, statistisch gesehen liest sich seine Ausbeute allerdings nicht ganz so elitär. In seiner Rookie-Saison erzielte er in nur fünf Spielen als Starter zwar auf Anhieb sechs Touchdowns bei einem Raumgewinn von 554 Yards und einem spektakulären Durchschnitt von 6,8 Yards pro Laufversuch. In den Folgejahren kam er allerdings – geplagt von Verletzungen – nie in mehr als elf Spielen zum Einsatz. Seine meisten Rushing Yards (950) hatte Jackson 1989, die meisten Rushing Touchdowns (5) produzierte er 1990 in seinem letzten Karriere-Jahr, in dem er mit den Raiders das AFC Championship Game erreichte und in den Pro Bowl gewählt wurde. Leider kugelte er sich im Spiel gegen die Cincinnati Bengals nach einem Tackle von Kevin Walker die Hüfte aus, wobei anschließend eine aseptische Knochennekrose diagnostiziert wurde und er, nach einem erneuten (erfolglosen) Versuch in der MLB, seine Karriere beendete. Doch wie kann ein Spieler, der so kurze Zeit für eine Franchise spielt, einen so großen Einfluss entwickeln, wie Bo Jackson bei den Raiders? Die Antwort mag nicht überraschen und dennoch ist sie nach Jahrzehnten der Erfolglosigkeit der Raiders Trost, Hoffnung und Desillusion zugleich. Bo Jackson verkörperte in erster Linie eines: Er steht repräsentativ für das, was möglich ist. Die Raiders der 1980er standen wie kaum ein anderes Sportteam ebenso für das, was möglich ist. Ganz gleich, ob es dann eintritt – oder auch nicht. Während Ersteres sich insbesondere in den Erfolgen der Early Days niederschlägt, ist Letzteres aus heutiger Sicht für die „modernen Raiders“ ein Wink mit dem Zaunpfahl, getreu dem Motto Back to the Future. In Folge #847 des US-Sport Podcasts The Art of Manliness wird diesem Empfinden nochmals Nachdruck verliehen. Dort präsentiert der Autor Jeff Pearlman eine Biographie, die Bo Jacksons Leben porträtiert und in der der Verweis auf den Mythos bereits im Titel erscheint: The Last Folk Hero. The Life and Myth of Bo Jackson. Die Zeichnung Jacksons als Natur-Talent mündet hier gar in das Postulat eines gewissen Volksheldentums. Und tatsächlich kann man festhalten: Jackson steht für eine wilde Übergangszeit, eine Epoche, in der der Football-Sport sich fundamental wandelte. Und in der sich auch die Raiders wandelten. Die Zeit in Los Angeles, in die die Karrieren ihrer beiden wichtigsten Running Backs Marcus Allen und Bo Jackson fielen, war die wohl spektakulärste Zeit, die die Franchise erlebte. Neben dem Gewinn des dritten Super Bowls in der Franchise-Geschichte gesellen sich in dieser Zeit sieben Playoff-Teilnahmen und drei Gewinne der AFC West, weswegen die 1980er (und Early 90s) das Jahrzehnt darstellen, nach dessen Ablauf die Franchise mit wenigen Ausnahmen in die sportliche Bedeutungslosigkeit abdriftete.
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