Endlich Stabilität!
Die Las Vegas Raiders erklären ihre Head Coaching- Suche für beendet und verpflichten das Trainer-Urgestein Pete Carroll als neuen Verantwortlichen. Der 73 Jahre alte ehemalige Super Bowl- Gewinner unterschrieb einen Drei-Jahres-Vertrag mit Option auf ein weiteres Jahr. Warum Carroll der richtige Mann für die Franchise aus Nevada darstellt, erfahrt ihr im Folgenden.
Renommierter Trainer mit einschlägiger Erfahrung
Pete Carroll gehört definitiv zu den angesehensten Trainer-Figuren der modernen NFL-Ära. Doch die Wurzeln seiner Popularität liegen zweifellos nicht nur in seinem bisherigen Engagement in der NFL. Von 2010 bis 2023 coachte Carroll die Seattle Seahawks, mit denen er 2013 den Super Bowl gewann. Doch das Fundament – und hier liegt ein großer Unterschied zwischen den „deutschen“ und „US“-Narrativen – legte Carroll bereits viel früher. Während er hierzulande vor allem mit der „Legion of Boom“ und den erfolgreichen Jahren mit „seinem“ Quarterback Russell Wilson assoziiert wird, sehen ältere Semester in ihm einen der Lehrmeister der alten Schule und ordnen ihn in einen größeren Zusammenhang ein. Carroll machte sich nämlich bereits lange vor den Seahawks einen Namen und gilt einerseits als einer der erfolgreichsten College-Coaches des Milleniums, andererseits als Defensiv-Genie, das dem Spiel innovative Impulse verlieh. So war Carroll, der bereits über 50 Jahre im Coaching Business aktiv ist (seine erste Station war das Pacific College 1973), eines der erfolgreichsten Strategic Minds im Kosmos der X’s & O‘s. Vor seiner ersten NFL-Episode coachte er mehrere CFB-Programme (u.a. Arkansas, Ohio State) als Assistenz- bzw. Positions-Coach, ehe er 1984 bis 1999 seine erste Phase in der NFL hatte (inkl. zwei HC-Jobs bei den Jets und Patriots). 2000 kehrte er dann wieder ins Unterhaus zurück, wo er die USC Trojans zu einem der besten Teams seiner Zeit machte. Von 116 Spielen konnte Carroll 97 gewinnen und die Kalifornier neben sieben Conference-Titeln zu einem nationalen Titel führen (2004 vs. Oklahoma). Respekt erlangte Carroll dabei schon früher, denn er stammt aus Monte Kiffins Schule und war selbst maßgeblich an der Schaffung der Theory of 49 beteiligt, bei der die „magische Zahl“ 49 einen Richtwert für die Quantität der offensiven Spielzüge darstellen soll. Laut Carroll und Co. sorgt ein ausgeglichenes Lauf-Pass-Verhältnis bei insgesamt 49 Spielzügen für das beste Outcome bei richtigem Time Management. An dieser Strategie hielt Carroll bis heute fest. Um zu verstehen, welchen Impact Carrolls „Erfindungen“ bzw. seine Spielweise hatte, muss man sich lediglich verdeutlichen, dass Monte Kiffins Defense aus den 1970er/80er Jahren später den Einzug ins Oberhaus finden sollte und als Vorgänger der Tampa-2-Defense bekannt werden sollte. Mit Tony Dungy implementierte Kiffin dieses System auch in der NFL. Die auf Cover-3 ausgelegte Grundphilosophie kann kurz am besten so beschrieben werden: sie ist der effektivste Weg, um offensive Big Plays zu verhindern. Gepaart mit einer Offense, die gar nicht mal elitär sein muss (sie muss nur konstant sein), erreicht Carroll in der Regel das Ziel dieser Strategie. Doch nicht nur sein taktisches Wissen und seine Erfolge sprechen für ihn, Carroll hat auch eine interessante Gesamtbilanz in der NFL. Um es kurz zu machen: Er gewann mehr Spiele in der NFL, als die letzten 14 Raiders Head Coaches zusammen. Grund genug, ihn zu feiern? Insgesamt holte er als NFL-HC 181 Siege (inkl. Playoffs) bei 120 Niederlagen und einem Unentschieden, was einem Winning Percentage von 58,6 entspricht (seine College-Bilanz beeindruckt massiv: 97 Siege bei nur 19 Niederlagen). Genug für die Raiders, wieder die Playoffs zu machen!
Die Altersfrage als „falscher Narrativ“ – Carroll bringt Stabilität und Vision
Umstandslos konnten in der Fachwelt die gängigen Beißreflexe beobachtet werden, wenn es um Trainer geht, die ihre NFL-Karrieren (eigentlich) schon beendet haben und dann als Beinahe-Rentner wieder zurückkehrten, um es nochmal zu versuchen. Auch bezüglich des neuen Coaches gab es einige solcher Stimmen. Carroll sei mit seinen 73 Lenzen zu alt, er wäre bereits nach seinem Engagement bei den Seahawks „raus“ gewesen und überhaupt, heutzutage könne man ja nur mit jungen Offensiv-Genies (zugegebenermaßen der schlüssigste Punkt) etwas reißen. Zum Glück schluckt das Gros der RaiderNation diese Pille nicht! Denn Carroll zählt mit Sicherheit zu denjenigen der alten Garde, die einem Team mit sofortiger Wirkung zur Stabilität verhelfen. Und das haben die Raiders bitter nötig. Carroll ist das Gegenexperiment zu Antonio Pierce und zudem haben die Silver&Black das Glück, dass er drei Jahre bleibt. Genau die Zeit, um einen möglichen Nachfolger in Position zu bringen und die Franchise bereits innerhalb des nächsten Jahres auf Vordermann zu bringen. Noch wissen wir nichts über Carrolls zukünftigen Staff, doch wir wissen, dass er mit einer Vision kommt. Auch die Raiders-Führung bestätigt dies. Hätte man vor wenigen Wochen noch gedacht, Tom Telesco könne bei einem Pierce-Abgang seinen Job in Sicherheit wägen, so demonstrierte seine Entlassung das, was Mark Davis und Co. von einer erneuten Losing Season hielten: nach Jahren des Risikos und des „Vielleicht-wird’s-schon“ suchen die Verantwortlichen insbesondere nach dem Einzug Tom Bradys jemanden, der mehr Sicherheit, Kontinuität und Langlebigkeit gewährleisten kann. Ob diese in sportlichen Erfolg in naher Zukunft münzen wird mag noch nicht garantiert sein, jedoch zeigt der Carroll-Coup, dass die Division wohl einen Zuwachs an Competition erfahren wird. Carrolls Alter gilt hierbei nicht als Maßstab des footballerischen Verfalls. Insbesondere die letztjährigen Hirings von Harbough in LA und Payton in Denver zeigen, dass vermeintlich ausrangierte Coaching-Opis es durchaus „noch drauf haben“. Zudem sollte in Betracht gezogen werden: Carrolls 14 Jahre anhaltender Gig in Seattle endete nicht mit seinem Niedergang. Obwohl die Seahawks nach ihren Zenit-Jahren nie wieder den Super Bowl holen konnten und das Gespann Carroll-Wilson folgerichtig zerbrach, war Carroll nie „am Ende“. Seine Aufgabe als Berater, die er seit 2023 in Seattle eingenommen hatte, war nie ein Signal seines Abdankens. Es war vielmehr eine wohlverdiente Verschnaufpause. Eine Pause der Neuordnung und Zukunftsausrichtung. Sie fehlzuinterpretieren bedeutet genauso wie die „Altersfrage“, sich einem falschen Narrativ hinzugeben. Es gibt also Hoffnung für die Raiders.
Hand in Hand mit Spytek – ein langfristiger Plan
Bereits im letzten Jahr drehte sich das Coach-GM-Karusell unweigerlich in Richtung Spytek. Neben Ed Dodds war er Gerüchten zu Folge bereits letztes Jahr im Gespräch. Die Raiders gaben also mit Recht ihre Notlösung (Tom Teleso) auf, um wieder in den Diskurs der Elite Tier Kandidaten zu gelangen. Und so fühlt sich das Hiring von Spytek auch an. Ad monumentum, wer bei Spyteks Amtsantritt von Tampa die Head Coaching Position übernahm. Richtig, Bruce Arians! Dies lässt tief blicken. Ein alter Recke an der Spitze, ein guter GM mit Vision, einen offensive minded OC dazu und fertig wäre die Erfolgsrezeptur der Konstanz. Spyteks Hiring von Liam Coen, der 2021 noch bei Kentucky im College Football verweilte, zeigt, welch sehende Augen Spytek für Talent hat. Unter Carrolls Ägide wird diese Vision nicht enden, vielmehr dürften sich die beiden zu einer Mischung entwickeln, die es versteht Alt und Jung zusammenzubringen und am Puls der Zeit zu bleiben. Die Erfahrung, die beide, Coach und GM, hinsichtlich ihrer Rebuilding Ability mitbringen, muss dabei gesondert erwähnt werden. Spytek war in Tampa Bay der Mann hinter den Kulissen. Er hat erfolgreich eine QB-Transition bewältigt. Die wenigsten hätten nach dem Karriere-Ende von TB12 damit gerechnet, dass ausgerechnet Baker Mayfield – in Cleveland geschunden und obendrauf unehrenhaft entlassen – eine Steilkurve hinlegt und so richtig einschlägt? Und auch Carroll dirigierte seine „Meisterarbeit Seahawks“ nicht vom Himmelbett aus. Als er 2010 das Team übernahm, kamen die Seahawks aus einer 5-11 Saison, der am Ende Jim Mora zum Opfer fiel. Carroll hatte zugegebenermaßen Startschwierigkeiten, fing sich jedoch. Nach zwei 7-9 Saisons folgte im dritten Jahr ein grandioser 11-5 Record in 2012, sowie der Durchmarsch zum Super Bowl 2013. Zudem bewies Carroll Talent beim Auswählen von Talenten. Mit Russell Wilson und Earl Thomas draftete er zwei Spieler, die mehrere Jahre die Stützpfeiler der Mannschaft darstellten. Zudem schaffte er es, Stars zu formen und mit Stars zusammenzuarbeiten. Die Geburt eines Richard Sherman, sowie die Beast Mode mit Marshawn Lynch gaben der Franchise einen wahren Boost und auf ewig ist klar: Diese Zeit wird immer mit dem Gesicht Carrolls in Verbindung stehen. Ergo kann sowohl von ihm, als auch von Neu-GM Spytek erwartet werden, einen langfristigen Plan erfolgreich umzusetzen.
Defensive Mind – und doch Offensive Genius
Aufgrund seines exzessiven Gebrauchs von Cover-3 (er ist ein wahrer Cover-3 Experte) gilt Carroll per se als Defensive Mind, wenn es um die Grundausrichtung des Teams geht. Hierzu verlinke ich euch unten noch ein paar interessante Artikel. Dennoch muss man anerkennen, dass er auch ein Offensiv-Genie ist – oder zumindest auf ein balanciertes Scheme zurückgreifen kann. Dabei ist die Implementierung seiner Theory of 49 im Übrigen nicht als reines mathematisches Modell zu verstehen. Carrolls Balanced Attack fordert nicht zwangsweise ein 50-50 Verhältnis von Lauf und Pass. Es ist mehr qualitativ gemeint, nach dem Motto: „Wenn wir mit einem ausgeglichenen Run-Pass-Verhältnis nicht gewinnen können, so müssen Run und Pass auf qualitativ ähnlichem Level liegen, damit wir, wenn wir mit dem einen nicht zum Erfolg kommen, das andere gewährleisten.“ Auch seine Personalentscheidungen waren vorwiegend vertretbar. Neben Russell Wilson und Marshawn Lynch lotste er weitere Offensiv-Stars in die Westküste, unter anderem Wide Receiver All-Pro D.K. Metcalf. Er war auch derjenige, der Geno Smith wieder rehabilitierte, obwohl dieser fast abgeschrieben war und als Quality Backup galt. Smiths Karriere-Renaissance wäre ohne Carroll im Sande verlaufen. Der Vorteil an Carrolls Philosophie ist schnell erkennbar. In der Tiefe vertraut Carroll auf die Wichtigkeit von Feld-Positionen, Playaction und einer guten Jugendarbeit. Er schenkt seinen jungen Spielern Vertrauen und gibt auch seinen Coordinators Spielraum, eigene Konzepte einzubringen. Vor allem darin liegt seine Stärke: ob bei Verletzungen, in der Öffentlichkeit und in der Rollenverteilung auf dem Feld, Carroll ist ein Spieler-Versteher, der auf Stimmen und Kritik hört – aber auch weiß, wann er einzugreifen hat. Diese (schematische) Freiheit ist aber nur der abschließende Zugriffspunkt der Spieler, nachdem sie die internen Anforderungen überstanden haben. So baut Carroll weniger auf Diven und imaginierte Upside, sondern vielmehr auf Intelligenz und physische Beharrlichkeit. Kurz: wir werden keinen Antonio Brown bekommen, sondern hart arbeitende Charakter-Spieler. Insgesamt lässt sich konstatieren: Obwohl Carrolls Meisterstück in der Defense liegt, ist er kein „reiner“ Defensive HC, sondern liefert genügend Anknüpfungspunkte, um der Raiders Offense mehr Freiheiten zu geben. Die Zeiten des Sinnlos-Playcalling dürften endgültig vorbei sein.
Carroll kann Teams „fixen“ – Was bei den Raiders zu tun ist
Carroll ist der Tatortreiniger unter den NFL Coaches. Zwar sollte weiterhin genug Skeptizismus in der RaiderNation vorhanden sein, um bzgl. Carroll keinem Hype zu verfallen, dennoch ist er ein klares Upgrade über Antonio Pierce, der sich am Ende seiner Journey als gut gemeintes, aber missglücktes Experiment entpuppte. Zu seiner Entlastung: Es lag definitiv nicht nur an ihm! Pierce‘ Niedergang ist nur ein Folgeprodukt der Zustände mit denen die Franchise seit Jahren kämpft. Die Neuanwerbung Carrolls zeigt aber, dass die Raiders die Zeichen der Zeit erkannt haben und diese Zustände bekämpfen wollen. Carroll setzt hier bei einem Rebuild an, wie groß dieser ausfallen wird bleibt allerdings noch abzuwarten. Können Leistungsträger wie Maxx Crosby gehalten werden und Free Agents wie Robert Spillane, Nate Hobbs oder Trevon Moehrig gehalten werden, so kulminiert die ganze Raiders-Story einzig und allein die Frage nach einem Quarterback. Aufgrund der Unklarheiten bzgl. Patrick Grahams Verbleib in Vegas (seine Interviews verliefen wohl im Sande) und weil wir den neuen OC noch nicht kennen, ist es schwierig heute schon Voraussagungen zu geben. Es sollte jedoch klar sein: wenn das Gros der Leistungsträger gehalten wird, sollten die Raiders 2025 einen ordentlichen Boost bekommen. Denn aufgrund mehrerer Langzeit-Verletzungen (z.B. Wilkins, Epps), einer insgesamt noch jungen Mannschaft (Top-5 der jüngsten Squads der Liga) und trotz aller Widrigkeiten einer misslungenen Saison kann man dem Kader der Raiders Gutes bescheinigen. Gelingt es Las Vegas, die Skill Positions QB und RB zu besetzen und einigen guten Depth Players einen Breakout zu entlocken, so könnte das Team schnell angreifen. In Jahr Eins unter Carroll wird dies voraussichtlich noch nicht geschehen, sollte er aber ein glückliches Händchen bei der Zusammenstellung des Kaders beweisen, so wird man spätestens 2026 wieder ein kompetitive Raiders sehen. Und sind wir ehrlich, Nation, vom Super Bowl unter Carroll spricht niemand! Was wir wollen ist Stabilität! Und deren Grundstock wird jetzt gelegt!
Zum Weiterlesen:
Ich reiche euch die Links zu Carrolls Cover-3 im Abendverlauf nach!
- College Football Shortcuts, Januar (Pt.I) - Februar 9, 2025
- Scouting Report zu Jaxson Dart – ein gut gealterter Archiv-Bericht - Februar 5, 2025
- Fünf mögliche Raiders 1st Round Picks – wenn es kein Quarterback wird - Februar 5, 2025