Coach of the Year – Warum Curt Cignetti neue Maßstäbe im College Football setzt

Obwohl die Indiana Hoosiers am Wochenende aus den College Football Playoffs ausschieden, wurde ihr Trainer in der Vorwoche mit dem Coach of the Year- Award ausgezeichnet. Warum er sich im Finale gegen namhafte Konkurrenten durchsetzen konnte – und warum seine Wahl sinnbildlich für einen „neuen College Football“ steht – erfahrt ihr im Folgenden.

Over. And. Out. Die Saison der Indiana Hoosiers ging am Wochenende sang- und klanglos zu Ende. Die 17:27-Pleite in der ersten Playoff-Runde in South Bend bestätigte: Während Notre Dame weiterhin die Nummer Eins in Indiana bleibt, ist es für die Hoosiers ein weiter Weg zur Landes-Spitze. Das Überraschungsteam der Big Ten, das mit einem 11-1 Regular Season Record nur von den Ohio State Buckeyes geschlagen wurde und sich im ersten Jahr unter neuer Ägide direkt für die Playoffs qualifizierte, sorgte in der Fachwelt für erstaunte Gesichter, heimste Respektsbekundungen ein – und schrieb definitiv eines der schöneren College Football- Märchen des Jahres 2024. Doch immerhin dürfen die Hoosiers nicht nur Applaus abstauben: Head Coach Curt Cignetti wurde in der Vorwoche zum Coach of the Year gekürt. Er setzte sich damit gegen namhafte Mitbewerber durch – und gewann mit 30 von 45 Stimmen der AP Top-25 Voters vor Arizona States Kenny Dillingham, Oregons Dan Lanning, sowie SMUs Rhett Lashlee. Der 63 Jahre alte Trainer läutete in diesem Jahr einen Programm-internen Turnaround ein, der aktuell im College Football seinesgleichen sucht. Nicht nur führte Cignetti in seinem ersten Jahr auf dem Chef-Posten ein unterdurchschnittliches Hoosiers-Team von einem 3-9 Record 2023 zu einer nahezu perfekten Saisonbilanz 2024, er bediente sich dabei ungewöhnlicher Methoden – welche aber mittlerweile zum CFB-Standard zählen. So nutzte er bei der Kaderbildung vorwiegend das Transfer Portal und vernachlässigte das „typische“ College Recruiting in großem Maße. Eine neue Erfolgsstrategie? Oder gar ein „Zeichen der Zeit“? Während aktuell kritische Stimmen rund um die frühzeitige Öffnung des Transfer-Fensters die Runde machen, kann diametral dazu konstatiert werden: Indiana ist ein Beispiel für die neuen Entwicklungen im College Roster Building – und deutet auf das Verlassen eines Common Ground hin. Dies wird in der Zukunft zu Szenarien führen, in denen Universitäten, die nicht zu den Power Houses zählen oder gar als Small Schools bezeichnet werden können, kurzweiligen Erfolg haben können. Während Ur-Gesteine wie Ex-Alabama-Trainer und College-Guru Nick Saban aktuelle Entwicklungen zur Disposition stellen und vor allem die langfristige Entwicklung der Programme kritisieren, sind es Coaches wie Cignetti und Universitäten wie Indiana, die den CFB Landscape nachhaltig verändern werden. Die Änderungen der Ligen-Statute, des Playoff-Formats und der Recruiting-Bedingungen zwingen sie dazu – und geben ihnen neue Chancen.

Was Cignetti in Indiana vollbrachte

Noch 2023 zählten die Hoosiers zum unteren Tier der College Football Teams. Mit einem 3-9 Record lag Indiana nicht nur auf den hinteren Plätzen der Big Ten, sondern zählte nicht mal mehr zu den Top-100 landesweit. Neben unbedeutenden Gegnern wurde lediglich Wisconsin in einem kompetitiven Matchup geschlagen, ansonsten gab es Pleiten und Pannen. Dies führte unter anderem zur Entlassung des bisherigen Coaches Tom Allen, der sieben Jahre in Indiana diente. Der Ersatzmann wurde mit Curt Cignetti gefunden, der seinerseits höchste Referenzen mitbrachte, im Oberhaus des CFB aber für wenig Gesprächsstoff sorgte. Cignetti coachte bis dato lediglich die Small Schools James Madison, Elon und IUP – allesamt FCS-Schools beziehungsweise Anhänger von FBS-Conferences mit geringer Schlagkraft (James Madison, Sun Belt). Als fünfmaliger Gewinner der Conference Coach of the Year Awards brachte er dennoch die nötige Expertise mit, die ihn (trotz seines Alters) zu einem der gefragtesten Head Coaches der jüngeren Geschichte machte. In 14 Saisons als Head Coach hatte er keine Losing Season und stand zudem zwischenzeitlich unter Nick Saban als Recruiting Coordinator für Alabama unter Vertrag. Die Herausforderung in Indiana: In kurzer Zeit aus dem Nichts ein Team aufbauen – und das bitte möglichst erfolgreich! Cignettis Rezept: die Mitnahme nahezu seines kompletten Coaching Staffs von James Madison, sowie von dreizehn seiner besten Spieler. Plus: Die Vision, ein erfolgreiches Roster Building auf Grundlage des Transfer Portals zu bewerkstelligen. Letztlich schaffte es Cignetti, eine Mannschaft aufzubauen, die in den Top-10 landete (#10), mit elf Siegen ihre Vorjahreszahl um acht überbot, zum ersten Mal in der Universität-Geschichte 10-0 startete, den Schul-Rekord für das höchste Scoring Differential brach (77:3 gegen Western Illinois) und in zehn ihrer elf Siege mindestens 14 Punkte mehr als ihr Gegner scorte. Ebenso verfügt Indiana über die beste Run Defense im College Football, die sechstbeste Scoring Defense (14,67 Punkte pro Spiel) und eine Offense, die überraschend auftrumpfen konnte. Mit einem Punkte-Durchschnitt von 41,3 (#2), 6,51 Yards per Play (#16) und 426,4 Yards per Game (#34) liegt sie immerhin oberen Segment der statistischen Rankings. Dass ein Trainer überhaupt in der Lage ist, ein solches Wende-Ereignis herbeizuführen, ist mit Sicherheit Produkt eines wechselseitigen Zusammenwirkens verschiedener Umstände, und dennoch: ein solches Jahr konnte nur dank eines „etwas anderen“ Recruiting Plans zusammenkommen. Und hier sind sich Beobachter einig, Cignetti tat als Erster das, was zukünftig immer mehr zur Antriebsfeder im College Football verkommen wird: er nutzte in exzessivem Maße die Möglichkeiten des Transfer Portals.

Das College Football Transfer-Portal – Zwischen Kritik und Chance

Das seit 2018 existierende Transfer-Portal wurde zunächst als Werkzeug zum Management von Wechseln von College-Athleten zu anderen Universitäten kreiert, ist jedoch seit seiner Einführung immer mehr in Kritik geraten. Das digitale Compliance Tool ist für Außenstehende dabei nur schwer nachvollziehbar, angesichts des Interesses von Medien und Fans wurde es aber in den vergangenen Jahren immer mehr diskutiert – was schließlich zu seinem Ausbau und vermehrten Reform-Forderungen seitens der Kritiker führte. Jüngst ist dabei ein Diskurs über dessen generelle Tragbarkeit ausgebrochen, als es am 09. Dezember von der NCAA im Hinblick auf 2025 geöffnet wurde. Dies führte einerseits zu spektakulären Transfers, andererseits zur Unplanbarkeit weiterer Saison-Verläufe, sowie enormer Kritik von Coaches und Verantwortlichen. Wohlgemerkt, die College Football Saison ist noch gar nicht zu Ende, doch die ersten Talente verlassen bereits ihre Teams, treten gar bei Bowl Games nicht an. So präsentiert die Analyse-Seite College Football Network hunderte Athleten, die im Dezember frühzeitig ihre Teams verließen, um ins Portal zu wechseln. Insgesamt werden es in der Off-Season bis zu 2000 Namen sein, eine nicht unerhebliche Zahl auch bei Power Four- Programmen. So verlassen in Arizona (26), Arizona State, Arkansas, Mississippi State (alle 24), Kentucky (21) oder Purdue (20) überdurchschnittliche viele Spieler ihr Team in Richtung Portal. In Group of Five- Programmen wie New Mexico (35) oder Charlotte (29) sind es gar noch mehr. Auch so einige spektakuläre Transfers wurden schon verkündet, so verließ Quarterback-Talent John Mateer die Washington State Cougars, USC-QB Miller Moss ist nun Louisville-committed, Oklahomas Jackson Arnold wechselt von den Sooners nach Auburn,  Darian Mensah zieht es von Toledo zu Duke. Selbst einer der Haupt-Kritiker, Clemson Head Coach Dabo Swinney verkündete vergangenen Donnerstag die Betätigung und sicherte sich in seiner ersten Nutzung des Portals die Dienste von Top-Edge Rusher und Purdue Transfer Will Heldt. Man müsse heute einen solchen Deal machen, denn heute mache „jeder so einen Deal“. Doch angesichts der verfrühten Öffnung des Portals, sowie des geringen Anpassungs-Rahmens seitens der Teams, hagelte es auch immer Widerspruch. Während anfangs vornehmlich die Coaches der Power Houses gegen das Format pöbelten, fällt die Kritik mittlerweile breiter aus. Um es mit den Worten von Coastal Carolinas Head Coach Tim Beck zu beschreiben: „Man baut mittlerweile kein nachhaltiges Programm mehr auf. Stattdessen baut man kurzfristig ein Team auf.“ Auch Coaching-Legende Nick Saban äußerte sich dabei erneut: „Wir haben keine Regeln!“, konstatierte Saban, als er jüngst auf die Probleme angesprochen wurde, die das Portal mitbringe. Und in der Tat, die College-Landschaft ist derzeit verzerrt wie nie – und bietet größtmögliche Chancen, aber auch größtmöglichen Schaden gleichermaßen. Die „Kompatibel-Machung“ der Spieler für den professionellen Bereich, sowie die De-Facto-Professionalisierung des gesamten College Football durch NIL oder Medienverträge, verzerrten jüngst die „alte CFB-Landschaft“ in ungekanntem Maße. Ein Beweis, dass der „neue College Football“ noch in den Kinderschuhen steckt – besser, die laufenden Anpassungen der Ligen und Verbände ein Mehr-Maß an Zukunftsvision bei den Umsetzenden erfordern. Curt Cignetti ist dabei einer der ersten Trainer, die diesen Trend konsequent umsetzen – obwohl er weit vom Bild eines „modernen Coaches“ entfernt ist.

Cignetti und der „Portal“-Plan

Dass Curt Cignetti schließlich den Vorzug bekam liegt vor allem an der Art, wie er die Hoosiers umstrukturiert hat. Als einer von 14 neu-angestellten Power Four Head Coaches stand er vor einer gewaltigen Aufgabe. Nachdem insgesamt 37 Scholarship Players nach dem Abgang von Allen die Hoosiers verließen, musste Cignetti schnell handeln. Innerhalb weniger Wochen musste er ein kompetitives Team an den Start bringen – und sich zwischen verschiedenen Methoden der Kaderbildung entscheiden. Mit Edge Rusher Mikail Kamara, Wide Receiver Elijah Sarratt und Cornerback D’Angelo Ponds und Weiteren brachte er das Herz seines alten Teams gleich mit, im Transfer Portal verfolgte er anschließend die Devise „Production statt ewigem Talent“. Statt des Recruitings von Blue-Chip-Spielern, die in ihren ersten Jahren lediglich als Backup fungieren, suchte Cignetti nach mehrjährigen Startern mit Erfahrung. Seinen Anführer hatte er dabei in Kurtis Rourke ausgemacht. Der Sixth-Year-Senior kam von den Ohio Bobcats und brachte mit 33 Karriere-Starts mit über 1000 Pass-Versuchen und 61 Touchdowns, sowie einem MAC Player of the Year Award eine kürzere Halbwertszeit, aber auch eine planbare Plug-And-Play-Ability mit sich. Rourke beendete die Saison mit 3042 Yards, 29 Touchdowns bei fünf Interceptions und einem Passer Rating von 176. Zum Aufbau dieses Grundgerüsts betätigten sich die Hoosiers bei 30 Spielern am Transfer Portal, neben den eigenen Freshman Recruits standen zu Saisonbeginn 54 Newcomers in den eigenen Reihen, lediglich 14 Namen zählte der Restbestand an Spielern, die bereits 2023 Spielzeit bekommen hatten. Damit vollführte Cignetti einen der größten Turnarounds, die die jüngere College Football Geschichte zu bieten hat. Damit gesellt sich Indiana in eine Kaste aufstrebender Programme, die wie aus dem Nichts vergangene Talfahrten vergessen machen konnten und, teils mit neuen Trainern bespickt, für massive Überraschungen sorgen konnten. Allein die Konkurrenz um den Award zum Trainer des Jahres verdeutlicht dies: Rhett Lashlee sorgte für ein historisches Jahr bei der SMU, Kenny Dillingham führte Arizona State mit den schlechtesten Projections in die Playoffs. Die Army Black Nights rollten mit einer überragenden Rushing Attack in die Top-25, die BYU Cougars sahen phasenweise wie die Mannschaft des Jahres aus, die UNLV Rebels gewannen nach einer historischen Saison den LA Bowl gegen Cal. Der College Football verändert sich und gibt kleinen Teams die Möglichkeit auf die große Bühne. Am Beispiel Cignetti erkennen wir auch: die „alte Kaste“ an College Football Coaches hat ausgedient. Zwar zählt Cignetti hinsichtlich schematischer Innovationen oder taktischem Einfallsreichtum nicht zu den „modernen Coaches der Zukunft“ – dies sollte ruhig jüngeren, strategisch versierteren Pendants mit neuen Ideen und Spielsystemen gegönnt werden – er illustrierte aber als einer der ersten das, was in den kommenden Jahren zur Norm werden wird: Ein faireres Teilnehmerfeld und größere Chancengleichheit. Und: Erfolgs-Stories wie eben seine eigene. Wie Trainer-Kollege Marcus Freeman (Notre Dame) es bereits bemerkte: „Ich wusste nicht viel über ihn, dann habe ich ihn gegoogelt. Er hat überall, wo er war, gewonnen.“ Offensichtlich hat das plötzliche Erscheinen Cignettis am CFB-Himmel nicht nur die Restauration des College Football mit angekurbelt, sein Erfolg hat Indiana aus dem Tal der Tränen zurück ins Rampenlicht geführt. Eine erfolgreiche Zukunft scheint daher vorprogrammiert. Oder, wie es die Hoosiers-Fans singen würden: Gloriana Frangipana!

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