Zwischen Hype und Herausforderung – Welcome to College Football, Bill Belichick!

Die ehemalige NFL-Trainer-Legende Bill Belichick ist neuer Head Coach des College Football- Programms von North Carolina. Die Tarheels sicherten sich die Dienste des 72 Jahre alten, sechsmaligen Super Bowl- Gewinners in einem 30 Millionen Dollar umfassenden Drei-Jahres-Vertrag (mit Option auf fünf Jahre) und beenden damit seine ein Jahr anhaltende Coaching-Pause. Belichick ersetzt damit den langjährigen Trainer Mack Brown, der dem Team aus Chapel Hill in seiner Universitäts-Geschichte die meisten Siege einbrachte und seit 2019 in seiner zweiten Trainer-Periode für die UNC aktiv war. Für den früheren Mentor von Tom Brady beginnt nun eine Zeitenwende – die auch vor der Folie eines steigenden Interesses am College Football auf Anklang trifft. Doch Belichick verbrachte nahezu seine gesamte Karriere im NFL-Oberhaus und soll nun maßgeblicher Verantwortlicher für den Aufbau und Erfolg eines Programms bilden, das seit 1980 keinen Conference-Titel mehr gewinnen konnte und seit 1997 nur in einer einzigen Saison mehr als neun Spiele gewann. Ein Fluch oder Segen? Und: für wen überhaupt? Denn auf den ersten Blick wirkt die neue (alte) Liebes-Beziehung wie ein surrealer Hype – dessen Wahrwerdung allerdings mehr braucht als bloße Einbildungskraft. Das College-Level dürfte auch für Belichick zu einer großen Herausforderung werden – und trotz seiner Expertise, des hohen Ansehens und Bekanntheitsgrads, den er mitbringt, garantiert der Übergang ins „Football-Unterhaus“ noch lange keine Siege. Auf welche Widerstände wird Belichick bei seiner Reise treffen? Und wie kann er seine NFL-Legacy erfolgreich in den College Football transferieren?

Belichick und North Carolina – Neue (alte) Liebe oder Notnagel?

Auf den ersten Blick wirkt das Zusammentreffen der Tarheels mit Belichick wie romantisierende Football-Träumerei. Der vielleicht beste (oder zumindest einflussreichste) Coach in der Geschichte des aktuellen Milleniums trifft auf ein „Up-and-Down“-Team, das seit mehreren Dekaden von neuen Erfolgen schwärmt – und kann dabei den Traum seines Vaters fortsetzen. Dieser war nämlich selbst einmal ein Tarheel. Steve Belichick, nicht zu verwechseln mit Bills gleichnamigem Sohn (der aktuell die Geschicke bei den Washington Huskies leitet), verbrachte mehr als 40 Jahre im CFB und coachte dort zwischen 1953 und 1955 das Defensive Backfield der UNC unter keinem Geringeren als Bill Edwards. Während seiner Coaching Karriere war der alte Belichick für den Aufbau der Belichick Library bekannt, einer Bücherei in der US Naval Academy, die aus strategischer und historischer Coaching- Fachliteratur besteht. Für Bill Belichick, 1952 geboren, war North Carolina immer Familie. Auf der einführenden Pressekonferenz verkündete er, er sei „nicht gekommen um wieder zu gehen“. Und tatsächlich verbinden die Belichicks Einiges mit North Carolina. „Bills erste Worte waren Beat Duke“ (eine Anspielung auf UNCs Rivalen), so sein Vater. Obwohl er ganze 34  Jahre in der NFL verbrachte, scheint er bei seiner Wahl seine Wurzeln berücksichtigt zu haben. Zwar berichten diverse US-Medien von Belichicks Enttäuschung über seine Nicht-Berücksichtigung im letzten Hiring Cycle der NFL-Teams, diese dürfte aber nicht der Hauptgrund für den Wechsel darstellen. „Ich wollte schon immer im College Football coachen“, konstatierte er jüngst und fügte an: „Es hat bisher nur noch nicht geklappt.“ Belichick war nach seinem Abgang von den New England Patriots lediglich von den Atlanta Falcons interviewt worden. Seitdem mehrten sich Statements von Experten, das „System Belichick“ sei nach seinem Abgang am Ende. Von einem Notnagel lässt sich angesichts Belichicks Aussagen und der Bereitschaft, für „weniger Geld“ zu coachen, allerdings nicht reden (allein Lincoln Rileys Vertrag bei der USC umfasst 110 Millionen US-Dollar). Er bezeichnete die neue Anstellung als „Traum, der wahr werden wird.“

Was der Hype dem College Football bringt – und Belichick der UNC

Für die UNC hat Belichicks Anstellung zunächst monetäre Konsequenzen – die dem Programm über Jahre hinweg helfen dürften. Mit seiner Verpflichtung wuchs das durch NIL-Verträge zugesicherte Kader-Budget von vier Millionen US-Dollar auf stolze 20 Millionen, die Tarheels haben also sowohl Spielraum für eine gelungene Recruiting-Kampagne, als auch für zielgerichtete Betätigung im Transfer Portal. Ein zweiter Vorteil dürfte aufgrund Belichicks Reputation zustande kommen. Die Tarheels hoffen auf eine Aufpolierung ihres Images, zudem könnte die Aufwertung der eigenen Marke sowohl Spieler als auch Fans gleichermaßen anziehen. Dies ist auch bitter nötig, denn nach dem Draft von Ex-Tarheels-Quarterback Drake Maye schwebt UNC im Niemandsland der ACC (#10) und konnte 2024 lediglich einen 6-6 Record ihr Eigen nennen. Bis auf Star-Rusher Omarion Hampton (281 Läufe, 1660 Yards, 15 Touchdowns) zählt die Mannschaft im NCAA-Weitblick zu den Average Teams. Der Name Belichick wird mit großer Wahrscheinlichkeit namhaftere Spieler anlocken und damit die Kader-Qualität UNCs langfristig verbessern.

Für den College Football im Allgemeinen stellt die Verpflichtung des vielleicht erfolgreichsten Trainers des modernen Football-Zeitalters in erster Linie eine Werbe-Möglichkeit dar. Ehemalige NFL-Coaches gab es in der Universitäts-Landschaft schon so einige, ein so renommierter Name wie Belichick wurde jedoch selten an Land gezogen. Auch programmatisch dürfte sich durch seinen Zuzug einiges ändern. Belichick will die Tarheels als ein Programm aufbauen, das künftig an der Grenzlinie zur NFL operieren will. Laut ESPN-Analystin Heather Dinich könnte Belichick seiner Trainer-Konkurrenz „bereits einen Schritt voraus“ sein. Seit der Einführung der NIL-Ära operierten Colleges immer mehr wie NFL-Teams, vor allem im Hinblick auf Geld, Vertragsabschlüsse und Kadermanagement. Belichick erklärte, er wolle seinen Spielern die Chance geben, einen klaren Pfad zur NFL vorzufinden und nutzen zu können. Doch haben dies nicht schon Andere gepredigt?

Ex-NFL Trainer und ihre College-Karrieren

Bill Belichick wird erst der zweite Coach in der College Football- Geschichte werden, der zuvor in der NFL den Superbowl gewann. Ähnliches vollbrachte vor ihm lediglich das Trainer-Urgestein Bill Walsh, seinerzeit zweimaliger Super Bowl- Sieger mit den San Francisco 49ers und anschließend Chef beim Stanford Cardinal. Doch bereits damals war erkennbar: Am College wird ein anderes Spiel gespielt. Im ersten Jahr war Walsh mit einem 6-2 Record noch erfolgreich, in seinen beiden letzten Jahren kam der Cardinal auf lediglich vier weitere Siege, weswegen Walsh am Ende seinen Posten niederlegte.

Dass die College-Karrieren bei ehemaligen NFL-Trainern oftmals nur rudimentär oder gar erfolglos verlaufen, zeigen einige Beispiele, in denen die Transition zurück zum „unteren Level“ nicht glückte. So beispielsweise bei Ex- Arizona State Coach Herm Edwards. Dessen Aufenthalt bei den Sun Devils zwischen 2018 und 2022 war nicht von Erfolg gekrönt. 16 Jahre lang coachte Edwards für verschiedene NFL-Franchises, kam aber bei seinen CFB-Engagement mit der NCAA in Konflikt: Edwards beging mehrere Verstöße gegen geltende Recruiting- Regeln, für die er 2023 in einem Show Cause der NCAA verurteilt wurde, was ihm ein zukünftiges Engagement im College Football erschwert. Auch Ex-Eagles-HC Chip Kellys Ausflug in den Unterbau verlief weniger spektakulär. Zwar führte er 2018 die UCLA Bruins wieder zurück auf die Spur in der Pac-12, einen Titel konnte er allerdings nicht gewinnen und steht mittlerweile „nur“ noch als Offensive Coordinator unter Vertrag. Jim Mora hingegen startete mit 29 Siegen in seine ersten drei College-Jahre, nur um in seinen letzten beiden Losing Records einzufahren. Oder Bill Callahan, der in Nebraska die Triple Option durch die Einführung der West Coast Offense eliminierte, sowie Charlie Weis, dessen „schematische Vorteile“ sich nicht aufs Spielfeld übertrugen. Auch einer der jüngeren Coaching Stints, Lovie Smith in Illinois (17-39) verlief alles andere als spektakulär.

Dennoch verdeutlichen die Beispiele von Jim Harbaugh in Michigan, Bobby Petrino in Arkansas oder Pete Carroll bei den USC Trojans: Es kann auch anders gehen! Carroll glänzte auf dem College-Level mit einem 97-19 Record, sowie sieben Pac-10-Titeln und einem National Title, während Petrino (137-71) die Arkansas Razorbacks ummodelte und zu zwei Conference-Championships führte. Harbaughs Geschichte um den Gewinn des National Titles 2023 kennen wir zu Genüge. Die College-Karrieren ehemaliger NFL-Trainer verlaufen also höchst unterschiedlich. Eine Garantie für eine gelingende Transition? So erfolgreich du in der NFL auch warst – es gibt sie nicht!

Belichick in North Carolina – Eine Story, zu schön um wahr zu werden

Während Belichicks Erfolge in der NFL unbestreitbar sind, stellt sich dennoch die Frage, ob er sein Level auch am College halten kann. Einerseits ist er zum ersten Mal in einer solchen Position, andererseits sind die Anforderungen an einen College-Coach andere als im Football-Oberhaus. Denn in einem hat Belichick keine Erfahrung: Im Recruiting-Prozess und dem Teambuilding im CFB. Dies könnte den Plänen des schnellen Umbruchs tatsächlich zuwider laufen. Denn Recruiting im College Football bedeutet mehr und umfasst eine intensive Auseinandersetzung mit den Spielern selbst, sowie deren Familien. Das CFB-Recruiting ist bisweilen so intensiv, dass Coaches sich neben dem bloßen Scouting vor allem um Fundraising kümmern müssen, sie müssen sicherstellen, dass der anvisierte Spieler seine Kurse wahrnimmt, schulische Leistungen nicht beeinträchtigt werden – ganz zu schweigen von der Auseinandersetzungen mit NIL-Fragen, die die Fachwelt seit Monaten beschäftigen. Während NFL-Coaches in der Offseason die Zeit bleibt, sich um off-field-Dinge zu kümmern, so verläuft die Saison eines College-Coaches zwar weniger intensiv als bei den Pros, es wird jedoch ganzjährig ein hohes Level an Bereitschaft gefordert. Dass sich Belichick hierbei auf die Mithilfe des frisch mitgebrachten Ex-NFL-Executives Michael Lombardi, sowie seines zukünftigen Staffs um Interims-Coach Freddie Kitchens verlassen kann, sollte bis zu einem gewissen Punkt klar sein. Und dennoch: College-Teambuilding funktioniert anders, als Belichick es von der NFL gewohnt ist. Zwar hat er bereits Pläne und einen persönlichen Rahmen, innerhalb dessen er seine Vorstellung eines College-Programms darlegt, bei genauerem Hinsehen jedoch könnte sich diese Vorstellung als Irrläufer entpuppen. Einen wichtigen Punkt machte dabei kürzlich die College Football Trainer-Legende schlechthin, Nick Saban, der nach einem 17 Jahre anhaltenden Dauer-Engagement bei den Alabama Crimson Tide und insgesamt 28 Jahren im College Football vor dieser Saison seine Karriere beendete. Saban betonte die Unterschiede zur NFL und warnte Belichick vor allem vor einem: einer anstrengenden Recruiting-Zeit. Diese habe er selbst mit 72 Jahren nicht mehr leisten können. Dennoch nannte er seine Reputation ein „enormes Verkaufswerkzeug“. Ob Belichick dieses nutzen kann?

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